Nachladung eines Ersatzmitglieds bei Anzeigen der Abwesenheit am Sitzungstag
BAG vom 20.5.2025 – 1 AZR 35/24
Ein Beschäftigter eines Produktionsbetriebs der Metall- und Elektroindustrie machte Entgeltansprüche geltend. Er war der Meinung, dass eine Betriebsvereinbarung, die zu einer Kürzung von Entgeltansprüchen geführt hat, nicht wirksam zu Stande gekommen sei. Daher sei die vorherige Betriebsvereinbarung, die nicht derartige Kürzungen enthalte, weiter gültig. Er begründete die Unwirksamkeit der neueren Betriebsvereinbarung mit einem Ladungsfehler, der die Sitzung des Betriebsrats betraf, in der der Beschluss zur verschlechternden Betriebsvereinbarung gefasst wurde. Er ist der Ansicht, dass ein Ersatzmitglied hätte geladen werden müssen. Hintergrund war, dass der Betriebsratsvorsitzende für ein ordentliches Mitglied des Betriebsrats, das sich erst am Morgen des Sitzungstags krankgemeldet hatte, keine Nachladung vorgenommen hatte.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Klage zurückgewiesen. Der Beschluss des Betriebsrats zu der verschlechternden Betriebsvereinbarung sei wirksam. Insbesondere sei der Betriebsrat ordnungsgemäß besetzt gewesen. Zwar sei – so betont das BAG ausdrücklich – die ordnungsgemäße und rechtzeitige Ladung der Mitglieder des Betriebsrats einschließlich der erforderlichen Ersatzmitglieder eine wesentliche Voraussetzung für die Wirksamkeit der Beschlüsse des Betriebsrats. Wird daher für ein verhindertes ordentliches Mitglied kein Ersatzmitglied geladen, so ist eine wirksame Beschlussfassung regelmäßig nicht möglich. Etwas anderes gelte aber dann, wenn eine plötzliche Verhinderung eintrete und es deshalb nicht mehr möglich ist, hierauf zu reagieren und die Ladung eines Ersatzmitglieds vorzunehmen. Zwar kenne das BetrVG keine feste Frist für eine Ladungs- und damit auch keine für eine Nachladungsfrist. Jedenfalls sei eine rechtzeitige Ladung dann nicht mehr möglich – so das BAG – wenn die Verhinderung erst im Laufe des Sitzungstags eingehe. So war es hier: die Verhinderung wegen einer Arbeitsunfähigkeit erfolgte am Sitzungstag, nur wenige Stunden vor dem Sitzungsbeginn. Eine Nachladung war daher nicht erforderlich und konnte unterbleiben. Da mehr als die Hälfte der Mitglieder des Betriebsrats anwesend waren, also Beschlussfähigkeit vorlag, war der mehrheitlich gefasste Beschluss wirksam.
Auswirkung für die Praxis: Die ordnungsgemäße Besetzung des Betriebsrats wegen fehlerhafter Nachladung wird sehr häufig von Arbeitgebern genutzt, um die Wirksamkeit der Beschlüsse des Betriebsrats zu bestreiten und anzuzweifeln. Der Beschluss des BAG erleichtert damit die ordnungsgemäße Durchführung der Sitzungen für eine konkrete Situation, nämlich für die Fälle der kurzfristigen Absagen am Sitzungstag. Das bedeutet im Umkehrschluss aber keineswegs, dass trotzdem auch bei solchen kurzfristigen Absagen der Sitzungsteilnahmen der oder die Vorsitzende des Betriebsrats nicht trotzdem nachladen darf. Wenn sie oder es tun, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Ladung. Das BAG hat nur entschieden, dass dies nicht erfolgen muss.
Kann ein nach § 38 BetrVG freigestelltes Betriebsratsmitglied einseitig durch den Arbeitgeber von der Arbeitsleistung unter Anrechnung von Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüchen freigestellt werden?
Hessisches Landesarbeitsgericht vom 5.9.2025 – 14 SLa 108/25 (Vorinstanz: Arbeitsgericht Frankfurt am Main vom 20.11.2024 – 6 Ca 2607/24)
Der Arbeitgeber hatte beschlossen, seine Geschäftstätigkeit deutschlandweit einzustellen und in diesem Zuge alle Betriebe zu schließen. Er hat daher mit dem Gesamtbetriebsrat Verhandlungen zu einem Interessenausgleich und Sozialplan aufgenommen. Nach langwierigen und sehr streitigen Auseinandersetzungen wurde in der Einigungsstelle ein Interessenausgleich abgeschlossen. Dieser sah vor, dass der Arbeitgeber die Beschäftigten nach Wegfall von deren Tätigkeiten während der Kündigungsfrist unwiderruflich freistellen durfte. Die Freistellung sollte unter Anrechnung der noch vorhandenen Urlaubsansprüche sowie unter Anrechnung von Plusstunden auf dem Arbeitszeitkonto erfolgen. Eine Anrechnung auf die Plusstunden des Arbeitszeitkontos war auf maximal 25 % bzw. maximal 152 Stunden begrenzt.
Die geltende Arbeitszeitordnung sah vor, dass 40 Stunden pro Woche gearbeitet wurde. Hiervon wurden 38 Stunden als Gehalt vergütet und die zwei verbleibenden Stunden auf das Arbeitszeitkonto gutgeschrieben oder im Folgemonat ausgezahlt. Der Kläger wählte die Variante der Auszahlung im Folgemonat.
Der Kläger war Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats. Auf Basis einer Gesamtbetriebsvereinbarung war er für diese Tätigkeiten in entsprechender Anwendung des § 38 BetrVG von der Erbringung seiner vertraglichen Tätigkeiten vollständig freigestellt.
Wie alle anderen Beschäftigten erhielt der Kläger eine betriebsbedingte Kündigung zum 31.7.2024. In der Folge stellt der Arbeitgeber den Kläger mit Wirkung ab dem 1.4.2024 von der Erbringung seiner Arbeitsleistungen unwiderruflich frei. Im April wurde der Betrieb, in dem der Kläger beschäftigt war, nahezu vollständig eingestellt. Dabei berief er sich auf den Interessenausgleich und rechnete die noch offenen fünf Urlaubstage auf die Freistellung an. Ferner stellte er die Vergütung der monatlich auflaufenden Plusstunden auf dem Arbeitszeitkonto ab April 2024 ein und zahlte nur noch das Entgelt für 38 Wochenstunden. Gegen die Freistellung widersprach der Kläger mit Schreiben vom 3.4.2024.
Hiergegen wehrte sich der Kläger und machte Urlaubsabgeltung für fünf Tage und die Auszahlung der Plusstunden geltend. Er war der Ansicht, dass er als vollständig freigestelltes (Gesamt-)Betriebsratsmitglied nicht einseitig von seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeit freigestellt werden könne. Zudem fallen auch noch während der Kündigungsfrist noch Tätigkeiten des Gesamtbetriebsrats an, da nicht alle Betriebe vollständig geschlossen seien und insbesondere Rest- und Übergabearbeiten von einer nicht geringen Anzahl von Beschäftigten zu erledigen seien. Der Arbeitgeber hingegen argumentierte, dass Betriebsratstätigkeiten nicht mehr anfielen, jedenfalls seien ihm solche nicht bekannt. Die Freistellung von der Arbeitsleistung verhindere jedenfalls nicht, dass er Betriebsratsarbeit machen könne. Diese werde durch die Freistellung nicht verhindert.
Das Arbeitsgericht bejahte den Anspruch des Klägers. Das LAG ist dem gefolgt. Begründet wird dies damit, dass der Arbeitgeber ein nach § 38 BetrVG im Rahmen dieser Freistellung nicht von seiner arbeitsvertraglichen Arbeitsleistung freistellen könne. Denn die Wirkung des § 38 BetrVG habe ja gerade zur Folge, dass keine arbeitsvertragliche Arbeit geschuldet werden. Ob, in welchem Umfang und wann ein freigestelltes Betriebsratsmitglied für Urlaubstage oder aufgrund anderer Umstände freigestellt werde, entscheide der Betriebsrat, hier der Gesamtbetriebsrat innerhalb seines Organisationsrahmens. Eine Freistellung könne somit nicht der Arbeitgeber einseitig vornehmen, denn hierdurch greife er in die innerbetriebsrätliche Organisation unzulässig ein. Es komme – anders als vom Arbeitgeber vorgetragen – nicht darauf an, ob der Kläger tatsächlich Aufgaben für den Gesamtbetriebsrat ausgeübt habe, sondern darauf, ob er sich für derartige Tätigkeiten in dem streitgegenständlichen Zeitraum bereitgehalten und zur Verfügung gestanden habe. Daher wurde der Klage vollumfänglich stattgegeben.
Auswirkungen für die Praxis: Die Entscheidung stärkt das Selbstorganisationsrecht der Betriebsratsgremien. Sie führt ganz eindeutig aus, dass der Anspruch auf einseitige Urlaubserteilung und einseitige Freistellung gegenüber nach § 38 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitgliedern für den Arbeitgeber deutlich eingeschränkt ist. Der Arbeitgeber hat dabei das Selbstorganisationsrecht des Gremiums zu beachten und darf sich hierüber nicht hinwegsetzen. Wichtig zu wissen ist dabei, dass der Grundgedanke dabei ist, die Organisationsfähigkeit des Gremiums sicherzustellen. Die Beschränkung des Einflusses des Arbeitgebers dient also dazu, die Möglichkeit der effektiven und selbstbestimmten Tätigkeit des Gremiums zu gewährleisten.
Informationsanspruch des Betriebsrats erstreckt sich auch auf Dateien, die noch generiert werden müssen.
LAG Köln vom 25.7.2025 – 9 TaBV 7/25
Die Betriebsparteien stritten um die Vorlage eines digitalen Berichts, der Stempelzeiten-Report genannt wird. In diesem Bericht sind die tatsächlich geleisteten täglichen Arbeitszeiten einschließlich der Lage und der Dauer der Pausen enthalten.
Der Arbeitgeber ist ein großes Textileinzelhandelsunternehmen mit 62 Filialen, in denen er ca. 3.400 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt. Die Belegschaft einer dieser Filialen wird vom hiesigen Betriebsrat vertreten. In einem vorangegangen Beschlussverfahren haben sich der Betriebsrat und der Arbeitgeber im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs darauf verständigt, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat die ohnehin vorhandene Wochenberichte über die Arbeitszeit jeweils am Beginn der übernächsten Kalenderwoche zur Verfügung stellt. In diesen Wochenberichten enthalten Angaben zur geleisteten täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit, zu arbeitsfreien Tagen sowie die Salden der Zeitkonten. Ferner einigte man sich darauf, dass der Betriebsrat jeweils auch die so genannten Zeitnachweise erhält. Das sind die Monatsberichte, die jeder einzelne Beschäftigte erhält. Außerdem enthielt der Vergleich eine Regelung, wonach Einigkeit dahingehend bestehe, dass dem Betriebsrat weitergehende Informationsrechte entsprechend der Regelung des § 80 Abs. 2 BetrVG zustehe, die er anlassbezogen geltend machen könne.
In der Folgezeit erhielt der Betriebsrat nunmehr Kenntnis davon, dass es häufig zu Verstößen bei der Durchführung bzw. Gewährung von Pausenzeiten komme. Es käme häufig zu Änderungen zu eingetragenen Pausen; teilweise könnten die Beschäftigten die Pausen nicht oder nicht vollständig nehmen. Es käme zudem zu nicht nachvollziehbaren Abzügen auf den Arbeitszeitkonten. Diese Änderungen und Abzüge könne der Betriebsrat aber aufgrund der ihm vorgelegten Unterlagen nicht prüfen, da die tatsächliche Lage und Dauer der Pausenzeiten weder im Wochenbericht noch im Monatsbericht aufgezeigt werden. Eine Überprüfung der Pausenzeiten könne nur anhand des Stempelzeit-Reports erfolgen. Der Betriebsrat verlangt daher im vorliegenden Verfahren, im die Stempelzeit-Reports regelmäßig auszuhändigen und verwies darauf, dass andere Betriebsräte innerhalb des Unternehmens diesen erhielten. Ferner sei dieser in der Gesamtbetriebsvereinbarung als Standard-Report enthalten.
Der Arbeitgeber lehnt die Vorlage ab. Er begründet dies zum einen damit, dass der Stempelzeit-Report von der Arbeitgeberin nicht erstellt werde. Dieser müsse erst im System aktiviert werden. Damit müsse der Arbeitgeber den Report nicht vorlegen, denn der Auskunftsanspruch beziehe sich nur auf bereits existierende Unterlagen; der Arbeitgeber müsse hingegen keine Unterlagen extra für den Betriebsrat erstellen. Ferner verwies er darauf, dass der Vergleich, der abgeschlossen wurde, sich ausdrücklich nur auf den Wochen- und Monatsbericht beziehe und weiter klargestellt wurde, dass nur anlassbezogen weitere Unterlagen zur Verfügung gestellt werden müssen.
Das LAG gab im Ergebnis dem Arbeitgeber Recht. Jedoch wies das LAG ausdrücklich darauf hin, dass die Arbeitgeberin sich vorliegend nicht darauf berufen kann, dass der Stempelzeit-Report erst generiert werden müsse. Zwar sei es richtig, dass der Auskunftsanspruch des Betriebsrats sich ausschließlich auf vorhandene Unterlagen, zu denen neben Schriftstücken auch Fotos und Dateien gehören, beziehen, so dass der Arbeitgeber grundsätzlich nicht verpflichtet sei, Unterlagen ausschließlich für den Betriebsrat zu erstellen. Der Arbeitgeber ist jedoch zur Herstellung schriftliche Unterlagen verpflichtet, wenn die erforderlichen Daten zwar nicht in schriftlicher Form vorliegen, aber etwa in einem Datenspeier vorhanden sind und mit einem vorhandenen Programm-Tool jederzeit abgerufen und ausgedruckt werden können, denn der Begriff „Unterlagen“ beziehe sich nicht nur auf schriftlich, ausgedruckte Dokumente, sondern auch auf elektronisch gespeicherte Daten. Auch dringe der Arbeitgeber nicht mit dem Argument durch, dass die erbetenen Auskünfte rein vergangenheitsbezogen seien. Zwar stimme es, dass die Überwachungsaufgaben des Betriebsrats gegenwarts- und zukunftsbezogen ausgestaltet seien; aus Auskünften über bestimmte Verhaltensweisen des Arbeitgebers in der Vergangenheit können jedoch Rückschlüsse auf für zukünftiges Verhalten geschlossen werden.
Vorliegend genüge aber die Nennung einzelner weniger Änderungen der Pausenzeiten und einzelne Abzüge auf den Arbeitszeitkonten nicht, um einen generellen Verdacht eines Fehlverhaltens der Arbeitgeberin zu begründen. Diese genannten Einzelfälle begründen möglicherweise einen anlassbezogenen Anspruch auf Vorlage eines einzelnen Stempelzeit-Reports, nicht aber einen allgemeinen und regelmäßigen Anspruch auf Vorlage aller Stempelzeit-Reports. Daher könne der Betriebsrat nicht die generelle Vorlage der Stempelzeit-Reports verlangen.
Auswirkungen für die Praxis: Da die in den Betrieben eingesetzten DV-Systeme immer komplexer werden und auch eine zunehmend große Zahl an Reports und Auswertungen der dort gespeicherten Daten ermöglichen, verfängt das Argument der Arbeitgeber, wonach die verlangten Informationen und Unterlagen nicht vorlägen, zunehmend nicht mehr. Betriebsräte sollten sich auf derartige Argumentationslinien nicht einlassen. Die Entscheidung zeigt aber auch sehr deutlich, die zunehmend einschränkende Auslegung des Informations- und Auskunftsanspruchs nach § 80 Abs. 2 BetrVG. Es war schon immer so, dass Betriebsräte beim Verlangen von Informationen einen Aufgabenbezug herstellen müssen. Denn auch der Betriebsrat darf nur solche Informationen verarbeiten, die er für die Erledigung seiner Aufgaben braucht. Jedoch nimmt der Begründungsaufwand deutlich zu, denn die Gerichte sind zunehmend akribischer in der Prüfung des Aufgabenbezugs. Daher sollten Betriebsräte bereits im Rahmen der Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung von DV-Systemen ihre Auskunfts- und Informationsrechte genau vereinbaren und möglichst darauf achten, dass alle Informationen und Auswertungen, die sie zur Aufgabenerledigung benötigen, auch tatsächlich vereinbart werden. Vorliegend hätte die Gesamtbetriebsvereinbarung vorsehen können, dass den Betriebsräten die Stempelzeit-Reports zur Verfügung gestellt werden. Denn dieser war als Report in der GBV schon vereinbart.
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